DL07 Stereotypes of war - a photographic investigation
»Das Buch »DL07 Stereotypes of War - A Photographic Investigation« vereint Fotografien, die Jens Liebchen in Albanien aufgenommen hat. Sie lassen an bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen denken. Überall und hinter jeder Ecke scheint Gefahr zu lauern, und überall fällt der Blick des Betrachters auf Relikte möglicher Gewalt. Der Gedanke an Kriegsfotografien liegt nahe und ist insofern nicht abwegig, als Jens Liebchen dieses Genre zwar reflektiert, jedoch einen ganz anderen Ansatz verfolgt. Obwohl es, als er in Tirana war, keine aktuellen Kämpfe gab, ließ das Wissen um solche vor seinen Augen scheinbare Kampfszenen entstehen. Sein Wissen - und das schließt das des Betrachters mit ein - formte erst solche Bilder, die nach kriegerischen Aktivitäten aussehen und so spielt er mit unserem Wissen um Reales, Fiktionales und Virtuelles, also mit der heute allgegenwärtigen Verunsicherung über den Wahrheitsgehalt von Bildern. Es ist unsere individuelle Fantasie und Imagination, die aus seinen Motiven die Bedrohlichkeit herausschält, eine Bedrohlichkeit, die ihnen real nie zugrunde lag. Wenn er ein Hochhaus zeigt, das in seinen Grundmauern existiert, dem es aber noch an Fenstern, Außenputz und jeglichem Baukomfort mangelt, dann es handelt sich in Wahrheit um einen noch nicht fertig gestellten Bau, der allein in unserer Vorstellung, gefördert durch die abstrahierenden Schwarz-Grau-Töne, den Gedanken an eine kriegsbeschädigtes Gebäude aufkommen läßt. Wir, die Rezipienten seiner Fotografien, sind es, die diesen Bildern ihren möglichen Schrecken eingeben, Und insofern gehören diese Bilder zu den im Buchtitel angesprochenen »Stereotypes of War«, also zu jenen redundanten und klischeehaften Kriegsbildern, die wir abrufbereit im Kopf herumtragen. Dazu paßt auch das rätselhafte Kürzel »DL07« im Titel. Es benennt die Koordinaten, die der weltweiten Sattelitenüberwachung zugrunde liegen, und die vom Kartografischen Institut des US Verteidigungsministeriums in der Gazatteer of Albanien veröffentlicht wurden. Die darin anklingende Observation kommt der fotografischen Beobachtung gleich, wobei sich der strategisch militärische Kontext unmittelbar erschließt. Assoziativ läßt sich das mit einem Motiv in Verbindung bringen, das einen Hubschrauber über dem Dach eines Hauses zeigt, das seinerseits vergitterte und teils verschlossene Fenster hat. Wer observiert hier was und zu welchem Zweck? Oder ist es einfach nur ein vorbeifliegender Hubschrauber? Das Buch gibt darauf keine klaren Antworten. Indem Jens Liebchen gar nicht erst den Versuch unternimmt, objektive Informationen vermitteln zu wollen, macht er sich eine Autorenhaltung zu eigen, die als Konsequenz aus den Echtzeitreportagen, wie sie das Fernsehen liefern kann, zur Verlagerung der Perspektive auf das Randständige und das Beiläufige und schließlich das Fantasievolle führt. Und mit Haltung ist das thematisch geschlossene, fotoästhetische Arbeiten gemeint. Das allerdings zeigt das Buch sehr genau.«
Enno Kaufhold
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